Sonntag, 13. Dezember 2015

Unni Løvlid

Am dritten Advent gab es bei den Freien Klängen ein Vokalkonzert mit einer Gesangs-Solistin:
Unni Løvlid – voc

Unni Løvlid hatte für das Programm hauptsächlich traditionelle Lieder ihrer norwegischen Heimat zusammengestellt, die sie nur mit der Kraft ihrer Stimme vortrug. Melancholische Liebeslieder wie das "called the wind", in dem sie eine alte Geschichte von gebrochenem Herzen und tiefer Trauer verarbeitet oder fröhliche Hochzeitstänze, wie sie normalerweise auf der Hardangerfiedel gespielt werden und die Unni Løvlid allein durch gesungene Silben interpretiert, unterstützt durch den Takt ihrer rhythmisch stampfenden Füße. Musik, die sie in kleinen Dörfern findet, "in Gegenden, in denen kaum ein Fremder auf der Durchreise anhält", wie sie dazu sagte. 

Der ungewöhnliche Konzertabend – die Sängerin stand ohne jede instrumentale Begleitung auf der Bühne – lebte von Unni Løvlids zarter und doch eindringlicher Stimme. Als sie die Bühne betrat und leise zu singen anfing, war sofort Ruhe im Saal. Løvlids Musik erfordert konzentriertes Hören und das Magdeburger Publikum ließ sich darauf ein, kaum ein Fremdgeräusch unterbrach die Stille in den Zwischenräumen der Musik. Nach dem Konzert erkärte Unni Løvlid, daß ihre Musik auch von der Aufmerksamkeit des Publikums beeinflußt wird, von der Intensität des Hörens, wie sie es bezeichnete und die sie auf der Bühne spürte. Durch diese ungeteilte Aufmerksamkeit der Hörer war das Konzert voll dieser magisch anmutenden Momente, bei denen sich die Konzertgäste ganz in die Musik versenken konnten, sich von den hypnotischen Tönen beinahe in Trance versetzen ließen. Der größte Teil der Lieder hatte norwegische Texte. Das jedoch spielte für die Wirkung der Musik keine Rolle, das Verständnis der Musik erfolgte über die Gefühlsebene. 

Samstag, 12. Dezember 2015

Vorschau Dezember

Morgen abend gibt es schon wieder das nächste Konzert der Freien Klänge: am Sonntag, 13.12.2015 um 18 Uhr.
Unni Løvlid – voc
Håkon Thelin – Kontrabass
Unni Løvlid, die Stimme der Westküste Norwegens, ist eine vielseitige Musikerin in der obersten Riege der Folkmusiker. Mit ihrer einzigartigen Stimme und der ursprünglichen Art und Weise, Musik des kulturellen Erbes in neue künstlerische Formen zu bringen, kombiniert auch das Duo Løvlid und Thelin norwegischen Folk und zeitgenössische Musik.
Håkon Thelin, bekannt aus dem Ensemble Modern and Poing, wurde für sein Album „Light“ mit dem norwegischen Grammy-Award ausgezeichnet. Håkon hat eine neue Spielart auf seinem Instrument entwickelt, um den “Kontrabass mit seiner eigenen Stimme singen zu lassen”. Die Musik zeichnet sich durch festgelegte Rhythmen, melodische Formen aus, und schafft doch einen Sound, der den Eindruck von Improvisation erweckt. Das Duo sucht, entwickelt und probiert verschiedene Formen der Zusammenarbeit aus und schafft eine Musik, die intensiv, ruhig - und voller Überraschung ist.

Hier ist eine Hörprobe:


In Magdeburg war Unni Løvlid vor einigen Jahren in anderer Besetzung zu Gast, in der Reihe Jazz in der Kammer im Januar 2010.

Sonntag, 8. November 2015

Nicole Jo

NICOLE JO – Colours
Nicole Johänntgen – Saxophon
Stefan Johänntgen – Keyboards
Philipp Rehm – Baß
Elmar Federkeil – Drums und Percussion


Das Quartett Nicole Jo benannte sich nach der Saxophonistin und Initiatorin Nicole Johänntgen, die auch für den überwiegenden Teil der Kompositionen verantwortlich ist und das Konzert mit deutlicher Bühnenpräsenz und Begeisterung leitete. Gemeinsam mit ihrem Bruder Stefan Johänntgen, dem Bassisten Philipp Rehm und dem Schlagzeuger und Percussionisten Elmar Federkeil brachte sie in weiten Teilen des Konzerts einen satten Sound auf die Bühne der Festung Mark – lebendiger, expressiver und kräftiger Jazz war zu hören.

Begann das Konzert noch mit eindringlichen, langsamen Tönen des Saxophons, verbunden mit Halleffekten von Keyboard und Bass, so wechselte die Musik bald hin zu einem rhythmischen, tanzbaren Clubsound, wie geschaffen für Musikklubs einer Großstadt. Diese Mischung hatte Nicole Johänntgen wohl auch im Sinn, wenn sie (wie sie in der Pause sagte) "es cool findet, wenn es immer wieder am Rand der Bühne Leute gibt, die sich zur Musik der Band bewegen". In Magdeburg gab es dagegen eher das aufmerksam lauschende als das tanzwillige Publikum, das dann aber auch voll auf seine Kosten kam. Beispielsweise durch den Raum, den Bandleaderin Nicole Johänntgen den anderen Musikern ließ. Etwa wenn Philipp Rehm am Baß spanische Flamenco-Rhythmen durchscheinen ließ, mal durch elektronische Effekte variiert und verfremdet, mal sehr nahe am Klang eines akustischen Instruments, und die Band dann in diese Klänge einstimmte. Oder wenn Stefan Johänntgen, der Ton-Ingenieur unter den vier Musikern, aus Keyboard und Synthesizer spacige Klänge hervorholte, die den Zuhörer in die Zeit der 1970er Jahre zurückversetzten. 

Elmar Federkeil an Drum und Percussion sorgt nicht nur für einen kräftigen Rhythmus von rockigen Trommelwirbeln bis hin zu afrikanischen Rhythmen, sondern stand auch mit einer Steel Pan (Blue Point Steel Harp) als metallisch-durchdringend klingendes Solo-Instrument in der Mitte der Bühne. 

Immer wieder aber bestimmte Nicole Johänntgen die Musik, vor allem wenn sie ihr Saxophon expressiv und mit vollem Einsatz spielte. Und das Saxophon damit auch die Rolle einer "Stimme der Band" übernahm. 

Den Abend fasste Nicole Johänntgen mit den Worten "take the moment as it is" ganz treffend zusammen. Für das Konzert in Magdeburg bedeutet das aus ihrer Sicht, daß "die Musik so richtig gut im Fluß", die Stimmung genau richtig und auch der Klang in den Festungsmauern überraschend gut war. Genau die richtige Atmosphäre für freie Interpretationen von Stücken der aktuellen CD "Colours", die Nicole Jo zur Zeit auf ihrer Tour vorstellt. Daneben gab es aber auch schon wieder neue Stücke zu hören. Wie das langsame "White and Green", das als Zugabe den Abend beendete. 


Warnfried Altmann, Organisator der Freien Klänge.
Hier bei der Gedichtlesung am Ende der Pause.

Sonntag, 11. Oktober 2015

Sadawi

Heute war Paul Brodys Sadawi zu Gast bei den Freien Klängen in der Festung Mark, in der Besetzung
Paul Brody – Trompete
Christian Kögel – Resonatorgitarre
Martin Lillich – Bass
Naomi Scherer – Rezitaition

Wenn Paul Brody seine Band in der Anmoderation kurz als Mischung irgendwo zwischen Klezmer und Jazz beschreibt, dann hat er damit sicher recht – und vereinfacht doch zugleich stark, denn tatsächlich war viel mehr auf der Bühne zu hören. Man merkt, daß er und seine Band in vielen Richtungen der Musik zu Hause sind. Gab es zu Beginn noch klassisch jüdische Stücke, so wechselte die Musik bald zu improvisierten Klängen, die mal auf dem Balkan verwurzelt schienen, bald nach modernen Jazz klangen. Dann auch wieder leise und zart, wenn Brody sich zurücknahm und Martin Lillich den Baß und Christian Kögel die Gitarre spielten. Die Gitarre übrigens ein seltenes Stück, eine metallenen Resonatorgitarre. Die hat zur akustischen Verstärkung der leisen Gitarrenklänge Membranen eingebaut, die ähnlich wie ein zusätzlicher Gitarrenboden durch die Töne angeregt werden und sie lauter klingen lassen.

Zu allem hatte Brody etwas zu erzählen, an zwei Mikrofonen eine Simultanübersetzung seiner eigenen Moderation improvisierend, ein Mikro für den englischen Text, das andere für sich als sein eigener Übersetzer; dabei vor lustigen Anekdoten nur so übersprudelnd. Die langen Moderationen, leise von seinen beiden Kollegen an Baß und Gitarre begleitet, hatten etwas von Poetry Slam, es machte einfach Spaß zuzuhören. Etwa wenn er eine Geschichte ähnlich der vom Josa mit der Zauberfidel erzählte, nur daß diese beim Spielen immer größer wurde und aus dem Josa – kein Wunder – Martin Lillich mit seinem Baß wurde. Oder die Geschichte  einer türkischen Frau, die ihm in einem Berliner Park eine tradionelle Melodie beibrachte. Die Bestätigung der Echtheit der Geschichte gab es dazu: der Gesang war auf Brodys Mobiltelefon gespeichert und wurde am Mikrofon abgespielt.

Nach der Pause las Naomi Scherer drei Texte von Joseph Roth, aus dessen Buch "Juden auf Wanderschaft". Die Lesung wurde durch die Musiker leise mit Musik unterlegt, was die eindringliche Wirkung der Texte noch verstärkte. Joseph Roths Buch aus dem Jahr 1927 beschreibt die ostjüdische Kultur und die Ankunft der jüdischen Auswanderer in Amerika. Vor dem Hintergrund der heutigen Flüchtlingsströme bekommen die fast hundert Jahre alten Geschichten von Einwanderern und Einwanderungsbehörden und von der nur hinter Maschendraht sichtbaren Freiheitsstatue eine ganz neue Aktualität.

Zum Ende des Abends wurde es musikalisch nochmal bunt und laut auf der Bühne. Fröhliche Balkanmusik, mit der Trompete im Mittelpunkt und einer Band, die dazu nochmal alle Register zog.


Sonntag, 13. September 2015

Azul

Am Sonntag, dem 13. September stand die brasilianisch-holländische Band Azul auf der Bühne der Freien Klänge in der Festung Mark.
Ana Beck – Gesang
Angelo Verploegen – Flügelhorn, Trompete
Jorien Muste – Violine
Ed Baatsen – Klavier
Henk de Ligt – Bass
Michael de Miranda – Percussion

Brasilianische Klänge, mal melancholisch, mal temperamentvoll interpretiert – da konnte man die Augen schließen und sich aus dem kalten Norden in die Wärme Brasiliens versetzen lassen: irgendwo unter heißer Sonne in einer Strandbar sitzend den Klängen lauschend. Die Brasilianerin Ana Beck sang mit warmer und gefühlvoller Stimme Lieder des brasilianischen Singer/Songwriters Milton Nascimento. Ihre Band setzte die Stimmung der Musik in Zusammenhang zu europäischen Jazz-Traditionen. So entstand eine interessante Mischung unterschiedlicher Stile, die sich nicht einfach in feste Kategorien einordnen lassen.

Für Sängerin Ana Beck ist Nascimento vor allem als Inspirationsquelle bedeutsam. Statt der Festlegung auf Stile wie Samba oder Bossa Nova ist ihr wichtig, eine große Bandbreite in die Musik einzubringen. Dazu trägt auch der Bassist der Band, Henk de Ligt, bei. Er hat speziell für dieses Projekt Nascimentos Musik neu arrangiert. So entsteht eine anspruchsvolle Musik, die vom ihr innewohnenden Schwung her typisch brasilianisch ist und sich zugleich weit von einfacher Folklore abhebt.


Donnerstag, 10. September 2015

Vorschau September

Am Sonntag, dem 13. September ist es wieder Zeit für die Freien Klänge. Diesmal mit den brasilianischen Klängen einer holländischen Band: Azul.
Ana Beck – Gesang
Angelo Verploegen – Flügelhorn
Jorien Muste – Violine
Ed Baatsen – Klavier
Henk de Ligt – Bass
Michael de Miranda – Percussion
Die sechs Musiker von Azul lassen sich bei ihrer Musik vom brasilianischen Singer/Songwriter Milton Nascimento inspirieren, der als eine der herausragenden Figuren brasilianischer Musik gilt. Seine Kompositionen sind tief im Samba verwurzelt, lehnen sich aber oft auch an modernen Jazz an. Die ausgefeilte rhythmische Struktur, die hervorragenden Harmonien und assymmetrischen Melodien sind charakteristisch für seine Musik. Henk de Ligt hat speziell für dieses Projekt neue Arrangements zu Nascimentos Kompositionen geschrieben. Während er natürlich das Originalwerk respektiert, fordert das neue Arrangement erschöpfend die Tiefen des besonderen Klangs des Ensembles heraus.

Die warme Stimme von Sängerin Ana Beck passt ausgezeichnet zu den verzaubernden Tönen von Angelo Verploegens Flügelhorn und der gefühlvollen Stimmung von Jorien Mustes Violine. Die erfindungsreiche Kreativität des Pianisten Ed Baatsen; des Bassisten Henk de Ligt und Percussionisten Michael de Miranda hinzugefügt, dann ist das Ensemble komplett. Der Klang des Kontrabass kombiniert mit der Violine bildet eine außergewöhnliche Grundlage für die bemerkenswerten Melodien von Nascimentos Musik. Das rhythmische Zusammenspiel in den schwierigen Kompositionen bietet zusätzlich ein durchdringendes Gegenstück zu den suchenden Soli des Klaviers und des Flügelhorns.

Im Video gibt es schon mal eine kleine Kostprobe:


Sonntag, 9. August 2015

Altmann und Naehring: Zwei und Frei

Heute gab es bei den Freien Klängen "Zwei und Frei", mit
Warnfried Altmann (sax) und
Hermann Naehring (perc)

Der Konzertabend beginnt diesmal ohne die übliche Ansage – denn Warnfried Altmann, Organisator der Freien Klänge, stand diesmal selbst auf der Bühne, gemeinsam mit seinem langjährigen Freund und Kollegen Hermann Naehring. Wer Naehrings riesiges Instrumentarium, angefangen von kleinen Glocken und Rasseln bis hin zur riesigen Taiko-Trommel auf der Bühne stehen sah, ahnte schon: es wird laut. Wer die beiden Musiker bereits erlebt hat, weiß aber auch, es gibt ebenso die leisen Töne.

Hermann Naehring begann auch gleich, die Taiko-Trommel zu schlagen. Leise erst, dann immer lauter werdend, lotete er die Akustik der preußischen Festungsmauern aus. Als wären diese Töne nicht schon kräftig genug, setzte Altmann deutliche Akzente mit seinem Saxophon, im Wechselspiel mit Naehring sein Spiel mal lauter, mal leiser modulierend. Schon der Beginn ein Fest für die Ohren, die die größtenteils unverstärkt gespielten Töne (nur später der indische Tonkrug bekam ein Mikro spendiert) in voller Intensität aufnehmen konnten, sobald sie sich an die ungeheure Dynamik gewöhnt hatten.

Als Warnfried Altmann dann doch noch zum Mikrofon greift und ein paar Worte zur Einführung in das Konzert spricht, dann liegen ihm zwei Dinge am Herzen. Zum einen, auf den Anspruch der freien Klänge hinzweisen, eine neue Musikmischung in der Stadt und im Kulturzentrum Festung Mark zu etablieren (wofür er sich eine noch größere Zuschauerresonanz und ein Weitersagen des regelmäßigen Konzerttermins wünscht). Zum anderen, "eine Lanze für die improvisierte Musik zu brechen", für Musik, die einfach aus der Freude am gemeinsamen Spiel heraus entsteht, aus dem  Vertrauen auf die so entstehenden Melodien und Klangstrukturen. Und setzt das gemeinsam mit Hermann Naehring auch gleich in die Tat um. Wie sich die beiden nur kurz anschauen, sich mit den so unterschiedlichen Instrumenten wie Trommeln und Saxophon gegenseitig Rhythmen zuspielen, die sie jeder wiederholen, verändern, ausbauen, hatte es ein wenig von einem am "alles was Du kannst, das kann ich viel besser" orientierten spielerischen Umgang miteinander.

Wenig später erweist sich Hermann Naehring als einer der großen Meister der Percussion, nicht nur der lauten, sondern auch der ganz leisen Töne. Etwa wenn er auf die Trommel gelegte Becken mit dem Geigenbogen anstreicht oder große Messing-Klangschalen leise ausklingen lässt, bis die letzten Schwingungen beinahe unhörbar werden. Oder wenn er ganz einfach seinen riesigen Regenmacher rauschen läßt, scheinbar minutenlang darauf gestützt und einfach nur lauschend, wie das Publikum diese leisen Klänge aufnimmt. Und das tut es, lässt sich auch auf solche leisen Naturtöne ein. Auch dafür sind die dicken Mauern gut: alle von außen kommenden Fremdgeräusche abzuschirmen und den Raum ganz der Musik zu überlassen.

Das inzwischen auch zur Konzertreihe gehörende Gedicht nach der Pause stammte diesmal von Börries von Münchhausen: "Es liegt etwas auf der Straßen" wurde von Warnfried Altmann in einem Sprechgesang vorgetragen, der an melancholische Lieder der Romantik erinnerte.

Im Zusammenspiel von Altmann und Naehring zeigte sich eine große Vertrautheit, eine Verbundenheit im Geiste der beiden großartigen Improvisateure. Kleine Gesten reichen, schon entwickelt sich die Musik in unerwartete Richtungen. Aus einem komplizierten Rhythmus von Naehring macht Altmann karibische Samba-Rhythmen, aus einem Duett von Xylophon und Saxophon entwickelt sich mal ein Bach-Choral, später dann spanische Klänge. Ravels Bolero in bisher nicht gehörter Interpretation, in völliger Verfremdung und doch erkennbar.

Und ein wenig wirkte nach dem Konzert auch die Anregung zum Improvisieren nach – wenn man etwa beim Nachhausegehen den Wunsch verspürte, einfach leise Melodien vor sich hin zu singen. Waren es nun welche aus dem Konzert oder entsprangen sie gar dem eigenen Kopf?