Sonntag, 15. September 2019

Drees – Bauer – Morgenstern

Die neue Saison der Freien Klänge in der Festung Mark begann mit einem Konzert voller musikalischer Experimente, von drei Musikern, die mit Können und Spielfreude schon jeder für sich den Abend füllen könnten. Sie zusammen zu hören war ein Erlebnis, das aber auch Konzentration und ein Mitdenken, vielleicht besser: ein Mitfühlen der musikalischen Ideen erforderte.
Simon Jakob Drees – Violine und Stimme
Matthias Bauer – Kontrabass und Stimme
Tobias Morgenstern – Akkordeon
Simon Jakob Drees, Christian Morgenstern und
Matthias Bauer (von links) in der Festung Mark
Simon Jakob Drees, Initiator und Ideengeber des Trios, greift zu seiner Violine, doch statt mit dem Geigenbogen beginnt er das Konzert mit seiner Stimme. Mit Obertongesang, der bald darauf von Bass und Akkordeon leise begleitet wird. Als er dann doch mit dem Bogen über die Saiten streicht, dann anscheinend nur, um sich für seine vokalen Töne Anregungen von der Violine zu holen.

Matthias Bauer entlockt derweil seinem Bass ungeahnt hohe Töne, wenn er die Saiten unterhalb des Steges streicht oder die Saiten mal mit dem Bogen anschlägt, mal mit dem Griff des Bogens Geräusche auf dem Instrument erzeugt. Da ist der Bass mehr Percussion- als Streichinstrument.

Tobias Morgenstern, der Meister auf dem Akkordeon, ist in seinem Element, wenn es um französisch klingende Einflüsse der Musik geht, und ist zugleich ein wunderbar einfühlsamer Begleiter der beiden Streichinstrumente. Aber was heißt hier Streichinstrumente und da Akkordeon – wenig später werden alle drei Instrumente zu Percussion-Instrumenten, wenn die Musiker auf den Körpern der Instrumente klappern, klopfen, schlagen, wenn Morgenstern den Balg seines Akkordeons rhythmisch hin und her bewegt, mit den Fingern darauf entlang fährt. Als nach und nach jeder wieder zu den gewohnten Klängen des Instruments zurückfindet, entwickelt sich aus den Rhythmen allmählich eine Musette. Tänzerische Passagen sind zu hören, die die Musiker aus osteuropäischen wie aus französischen Einflüssen heraus improvisiert zusammensetzen.

Mitunter sind die Klänge, die sie aus ihren Instrumenten und der Stimme zaubern, weit abseits eines massentauglichen Musikgeschmacks, sind eher Performance als klassisches Konzert. Vor allem Drees ist es, der an diesen Stellen das Geschehen bestimmt. Seine Bewegungen auf der Bühne, seine Tonsprache werden zur Projektionsfläche der Vorstellungen der Zuhörer von all dem, was Musik sein kann. Nach den wilden und exstatischen Klängen, in die er sich hineinsteigert, ist man beinahe überrascht, in welch zarter Melodie die Musik endet.

Warnfried Altmann, der die Reihe der Freien Klänge zusammenstellt, beginnt wie immer den zweiten Konzertteil mit einem von ihm gelesenen Gedicht. Diesmal ist es Hölderlins "Die Eichbäume":
Aus den Gärten komm ich zu euch, ihr Söhne des Berges!
Aus den Gärten, da lebt die Natur geduldig und häuslich,
Pflegend und wieder gepflegt mit dem fleißigen Menschen zusammen.
Aber ihr, ihr Herrlichen! steht, wie ein Volk von Titanen

In der zahmeren Welt und gehört nur euch und dem Himmel,
Der euch nährt` und erzog, und der Erde, die euch geboren.
Keiner von euch ist noch in die Schule der Menschen gegangen,
Und ihr drängt euch fröhlich und frei, aus der kräftigen Wurzel,
Unter einander herauf und ergreift, wie der Adler die Beute,

Mit gewaltigem Arme den Raum, und gegen die Wolken
Ist euch heiter und groß die sonnige Krone gerichtet.
Eine Welt ist jeder von euch, wie die Sterne des Himmels
Lebt ihr, jeder ein Gott, in freiem Bunde zusammen.
Könnt ich die Knechtschaft nur erdulden, ich neidete nimmer

Diesen Wald und schmiegte mich gern ans gesellige Leben.
Fesselte nur nicht mehr ans gesellige Leben das Herz mich,
Das von Liebe nicht läßt, wie gern würd ich unter euch wohnen.
Simon Jakob Drees singt anschließend, einem Schamanen gleich, Silben einer Phantasiesprache, zum Teil in Obertöne übergehend, mit Quint- und Oktavsprüngen wie beim Jodeln. Eine seltsame Faszination geht davon aus, wenn man sich – so wie das konzentriert lauschende Publikum – vollkommen darauf einlässt, sich in unbekannte Welten entführen lässt. Bauers Bass liefert dazu eine ganz langsame Struktur und trägt zu einer wunderbaren Entschleunigung der Musik bei. Später, nach dem Konzert, sagt Drees zu Altmann: "Dein Gedicht und die Gedanken an die alten Eichen, an die Natur, haben mich zu diesem Gesang angeregt".

Spontane Improvisation bestimmt den gesamten Abend. So auch als Bauer probeweise einen Ton anspielt, seine beiden Kollegen anschaut und sagt, "ein Des hatten wir heute noch nicht", und dann anschließend alle drei immer wilder werdend um diesen einen Ton herum improvisieren, bis sich am Ende, allmählich ruhiger werdend zu genau einem gemeinsamen Ton zusammenfinden: "Da ist es ja wieder, das Des", stellt Bauer am Ende fest.

Und immer wieder ist es interessant mitzuerleben, wie die drei ihre Instrumente zur Percussion nutzen, und Akkordeon und Bass Urwaldlaute produzieren, während auf der Geige Grillen zirpen oder andere Tiere zu hören sind. Da entstehen ganze Bilder im Kopf.

Das Konzert war wieder eines, das den Namen der Reihe, das die "Freien Klänge" im wahrsten Wortsinn in Musik umsetzte. Warnfried Altmann bestätigte nach dem Ende des Konzertes begeistert "das war echte Improvisation, mit großer Kraft und doch jeder sehr rücksichtsvoll".

"Wie seid Ihr zusammen gekommen und wie findet Ihr zu Euren musikalischen Ideen", frage ich Simon Jakob Drees. "Matthias und ich spielen schon seit 30 Jahren zusammen", sagte er "und Tobias und ich haben erstmals vor 9 Jahren zusammen Musik gemacht, das war für's Theater, für Der Mann ohne Eigenschaften. Zu dritt sind wir heute aber komplett neu zusammengekommen". Das Improvisieren beschribt er mit "Wir schöpfen aus dem Nichts das Fassbare, suchen den Halt im Unhaltbaren".  Diesen Satz könnte man zugleich als Aufforderung verstehen, Musik immer wieder neu und vor allem live zu hören – denn einen Abend wie heute gibt es wohl nur live. In der Reihe der Freien Klänge haben Sie die Gelegenheit wieder am 1. Dezember.


Warnfried Altmann liest Hölderlin

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