Sonntag, 8. Januar 2017

IL LUSORIUS

Heute stand das Trio Il Lusorius auf der Bühne der Freien Klänge in der Festung Mark.
Meike Herzig – Blockflöten, Serpent
Albrecht Maurer – Violine, Fidel, Rebec
Annette Maye – Klarinette, Bassklarinette
Annette Maye, Meike Herzig, Albrecht Maurer (v.l.n.r.)

Bevor das Konzert in der Kulturwerkstatt, dem kleinen Podium für Konzerte und ähnliches, hinter dem "Stübchen" in der Festung Mark beginnt, kann man auf der Bühne schon die Instrumente liegen sehen – und man sieht einen Tisch voller unterschiedlicher Spieluhren dort stehen. Spieluhren (genauer gesagt: Spieldosen, wie Meike Herzig später erklären wird), die die Leiterin des Trios an vielen Orten sammelte. Am weitesten gereist ist eine japanische Geisha, am skurilsten ein Klorollenhalter, der durch das Abrollen des Papiers aufgezogen wird und dann Musik macht. Dazwischen alles was denkbar ist, ein Symphonion mit wechselbaren Lochplatten, kleine Spielzeuge mit Kurbel oder eine Spieldose, auf der sich ein Karussell dreht.


Um ihre kleinsten Instrumente – ihre Spieldosen – für das Publikum sichtbar und erlebbar zu machen, haben die Musiker eine Kamera mitgebracht, die die Bewegung der Spieluhren, teilweise sogar der Zahnräder darin, auf die große Leinwand hinter ihnen projiziert. Als dann die Musik der ersten Spieldose erklingt, la vie en rose, eine französische Melodie, zu der eine zierliche Tänzerin vor einem Spiegel Pirouetten dreht, dann kommt ein Gefühl auf, im Kino zu sitzen und einen Dokumentarfilm mit Live-Begleitung zu sehen. Die Musiker lauschen den ersten Takten, dann nehmen Meike Herzig an der Flöte, Annette Maye an der Klarinette und Albrecht Maurer an der Geige die Klänge mit ihren Instrumenten auf. Spielen erst parallel zum mechanischen Musikspielzeug, bis Meike Herzig nach einigen Zyklen der sich wiederholenden Melodie den Deckel der Spieldose schließt und die Musiker weiterspielen, die Melodie nun frei improvisierend und verändernd. Auf der Leinwand dreht sich die Tänzerin (nun vom Computer aus eingespielt) weiter, als würde sie sich nun zur Musik des Trios drehen. Am Ende klappt Meike Herzig den Deckel wieder auf, die Musik paßt sich der langsamer werdenden Spieldose an und und verklingt leise. Ein bezauberndes Gefühl beim Erleben dieser Mischung aus mechanischen unnd akustischen Instrumenten stellt sich ein.

Wohl jeder hat schon an der Kurbel von Spieldosen gedreht, die Musik leise mitgesungen oder gesummt. Il lusorius geht weit darüber hinaus, die Klänge schlicht nachzuspielen. Sie instrumentieren sie neu, experimentieren, geben ihnen mit auch ungewohnten Instrumenten neue Stimmen. So greift Meike Herzig zum Serpent, dem schlangenförmig gewundenen Blechblasinstrument aus dem 16. Jahrhundert, mit dem sie tiefe Borduntöne erzeugt und aus "Hänschen klein" Musik macht, die von der Atmosphäre auch auf einem Mittelalterfest erklingen könnte. Es folgt ein Duett von Klarinette und Spieluhr, später noch eine Komposition von Anette Maye: "Swiss Jodelbär", nach der schweizer Herkunft einer der alten Spieluhren benannt. Albrecht Maurer spielt nach ersten originalen Bildern Filmsequenzen ein. Er nutzt dazu eine Art Video-Keyboard, dessen Tasten statt mit Tönen mit Videos belegt sind, die auf die Leinwand geworfen werden. Das Auge läßt sich von den Bildern ablenken, schaut auf die Leinwand statt auf die Musiker – die Ohren hören die Live-Klänge.

Auch Albrecht Maurer hat eine Besonderheit mitgebracht: den Nachbau einer gotischen Violine, die sich auf eine Abbildung im Magdeburger Dom zurückführen läßt. Geschaffen von Instrumentenbauer Thilo Vierig aus Naumburg. "Und eine Seltenheit", wie Maurer betont. Darauf erklingt eine "Bagatelle für Spieluhr und Spieltrio". Anschließend ist es wieder an Meike Herzig, ein ungewöhnliches Instrument hervorzuholen. Diesmal ist es eine Subbaßblockflöte, die größte Blockflötenart – und eher eine riesige Orgelpfeife
als das kleine Instrument aus der Schulzeit. Ein riesiger, langer Kasten aus Holz, dessen tiefe Töne zum Tanz von zwei Figuren eine düstere Schicksalsmelodie spielen. 


In seiner Komposition "Spieluhr aus Tonstrom" vertauscht Albrecht Maurer die Rolle von Musikern und mechanischen Instrumenten, komprimiert die Eigenschaften der Instrumente zu einem wahnwitzigen Mix und fordert die Fähigkeiten der Musiker heraus. In ständigen Wiederholungen musikalischer Muster wird das Trio selbst zur Spieluhr. Eine interessante Antwort auf das Prinzip der mechanischen Spieldosen.

In der Pause erklärt Meike Herzig die Herkunft ihrer Spieldosen. "Anfangs bekam ich sie auf Flohmärkten", sagte sie, "heute aber öfter auch bei den ebay-Kleinanzeigen". Ein Problem dabei: meist sind nur Fotos der Spieldosen zu sehen. "Dann habe ich oft auch bei den Verkäufern angerufen und mir am Telefon die Melodie vorspielen lassen". Denn nicht jede Spieldose eignet sich, manche klingen zu hoch und passen nicht zu den Instrumenten. Und an noch etwas muß sie bei den Spieldosen denken: sie laufen von Umdrehung zu Umdrehung ein kleines Stück langsamer und bleiben dann stehen – was mitten im Stück nicht passieren soll. "Ich habe für jedes Stück und für jede Spieldose aufgeschrieben, wie viele Umdrehungen ich sie aufziehen muß", sagt sie. 

Als das Trio "Green Sleeves" anstimmt, machen die Musiker aus einer der bekanntesten irischen Melodie eine "Musik für Spieldose und Variationen". Die Spieldose spielt von Runde zu Runde beharrlich die gleichen Töne, die Musiker variieren sie, so daß dann jede Strophe anders klingt. Diesmal lassen sie die Spieldose so lange drehen, bis sie immer langsamer werdend, Ton für Ton verklingt. Das melancholische Gefühl beim Hören der Spielzeuginstrumente stellt sich wieder ein, wenn man sich zum Schluß bei jedem Ton fragt, ob er denn nun der letzte Ton sei. Und dann kommt doch noch einer und noch einer, bis das letzte Lebenszeichen verklingt.

Das Konzert bot Musik, die sich schwer einordnen läßt. Ist es nun Jazz, Klassik, Filmmusik oder musikalisches Experiment? Wahrscheinlich von jedem etwas – und vor allem: ein faszinierendes Erlebnis.

Meike Herzig mit der Sub-Baß-Blockflöte

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